Was
ziehe ich heute an? Betrachtungen von Giridevi Duranjaya Bild1: Namali Piyadarshani - Woman at Work (Öl auf Leinwand 1999) |
Von einer jungen asiatischen Kunststudentin erwarb ich dieses Ölbild und es prangt seitdem in unserem Wohnzimmer. Sie war fasziniert von der Kommerztauglichkeit ihres Werkes und ich von der plakativen visuellen Umsetzung der allem Herumgezerre an Geschlechtsrollenfixierungen zum Trotz global verbreiteten Frage von Frauen vor der Kleidersammlung "Was ziehe ich heute an?" bzw. der Aussage "Schatz, ich habe nichts anzuziehen!", absurd angesichts eines Kleiderschranks, der von an sich attraktiv gemusterten, gerafften, gestülpten, gehäkelten, gestrickten und genähten kleinen und größeren, ein- oder mehrfarbigen Stoffkunstwerken nur so überquillt. Es ist keine Frage, dass Kleidung anthropologisch gesehen zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigt, einmal das alltagsfunktionale eines Klimaausgleichs als Kompensation für die biologische menschliche Schutzbedürftigkeit vor klimatischen Extremen, und zum anderen jedoch weit über das biologische Bedürfnis hinausweisend, das nach ornamentaler Gestaltung einer gegenüber anderen abgrenzenden persönlich-individuellen visuellen und sensuellen Infrastruktur, also einer personalen Identität, die insofern auch nicht nur Kleidung, sondern eben Mode genannt wird. Und da das Einzelwesen Mensch trotz zerebraler Verinselung wiederum aus anthropologischen Gründen, nämlich zum Zwecke des Überlebens, selten allein blieb, sondern sich zu Interessengruppen verbündete, entstand hier neben dem Bedürfnis nach individuellem Ausdruck eine sogenannte kollektive, also Gruppen-Identität, die wiederum die Herstellung von Kleidungsstücken anregte, an denen man die Gruppenzugehörigkeit unschwer ausmachen konnte. Dies reicht von kleineren Gruppierungen, wie Stammesgruppen oder Gilden bzw. heute Vereinen bis hin zu Großverbänden, wie kulturellen Interessengruppen und Nationen. Und selbst oder sogar besonders die Verweigerung kann zusammenschweißen; durch Zufall bin ich selbst beim Landmieten in die Nacktbarschaft einer Nudisten-Vereinigung geraten, deren kleidungsbezogene Konsumverweigerung an manche Verweigerungshaltung der Punk-Kultur im Hinblick auf Sittenkodex und Kommerz erinnert und die gerade dadurch zeigt, welch wichtiger kultureller Indikator Kleidung sein kann. Keine Frage, dass zur Mode avancierte Kleidung begehrt ist und insofern kommerziell verwertbar. Das spürt man in RL ebenso wie in SL, wo die Kleidungsbranche neben dem Land- und Immobiliengeschäft einer der einträglichsten Geschäftszweige zu sein scheint. Erst letzte Woche erzählte mir die Besitzerin einer sehr aktiven SL-weiten Ladenkette für Punk-Outfit, ihr Geschäft sei so einträglich, dass sie sich innerhalb eines Jahres nur mit Inworldverkäufen das Geld für einen ganzen neuen Linden-Sim (kein Low-Prim!) zusammengespart habe - alle Achtung! Keine Frage, der relativ nackt aus dem Ei schlüpfende Avi benötigt erst mal Klamotten und auch wenn es vieles bereits als Freebie gibt, so möchte doch niemand darauf verzichten, seine 3D-Repräsentation geschmackvoll und identifizierbar auszustatten, zumal ja nicht wenige nebenbei hoffen, auf den Partner ihrer Träume zu treffen. Kleidung wird gekauft, auch wenn einen auf den Ausflügen im Sim-Netzwerk manchmal die Langeweile angähnt ob der Vielzahl und Uniformität der Fashion-Malls. Und genau an dieser Stelle komme ich zurück zu unserem Ausgangskunstwerk: Wer einmal etwas ganz besonderes an Kleidung ansehen und sich davon überzeugen möchte, wie interkulturell bildungstauglich Kleidung ist, möge das "International House of Style" von Oryx Tempel aufsuchen. Hier geht es um mehr als eine kommerzielle Mode-Mall, es ist gleichzeitig eine Ausstellung der attraktivsten Gewänder verschiedener zeitgenössischer Kulturen, die so oder ähnlich im Moment getragen werden, auch wenn sich der globale Einheitsstil mit Jeans und T-Shirt gleichzeitig fluide raumgreifend Platz schafft. |
Bild2: Innenhof des International House of Style von Oryx Tempel |
Dieser Ort
bietet die Möglichkeit interkultureller Erfahrung in ganz alltagspraktischer
und unmittelbarerer Art und Weise als es in manchen hochtrabend benannten
Institutionen der Fall ist, die zwar ein eindrucksvolles Gebäude
und einen einprägsamen Titel aufweisen, in denen aber sonst nicht
viel passiert. Bild3: Collage verschiedener Angebote im International House of Style |
Und Oryx Tempel bietet auch die passenden Accessoires in Form von Schmuck; nur Haare und Schuhe muss man sich woanders besorgen: Bild4: Accessoires im International House of Style |
Es ist eine überzeugende Idee, Mode einmal auf diese Art und Weise vorzustellen und nach den kulturellen Zusammenhängen zu untergliedern. Immer wieder treffe ich Avis an diesem Ort, die ebenso fasziniert von der Idee sind: http://slurl.com/secondlife/Loepa/52/190/54. Gerade noch rechtzeitig konnte ich einen Interviewtermin mit der Besitzerin und Schöpferin des Konzepts Oryx Tempel wahrnehmen, die von einer internetlosen Zeit in Alaska zurückkam. Hier die freie deutsche Übersetzung: Giri: Oryx, weshalb hast du diese spezielle Art eines Modegeschäfts eröffnet und nicht ein ganz "normales? Oryx: Ich wollte ein Geschäft kreieren, in dem viele verschiedene Kulturen vorgestellt werden können. Ich habe die einzelnen Shops um einen traditionellen Marktplatz herum gruppiert, wie er in Jerusalem üblich ist, mit einer zentralen Fläche und verschiedenen "Satelliten"-Flügeln, von denen jeder eine andere Weltgegend darstellt. Giri: Gab es besondere Gründe für die Auswahl der gezeigten Kulturen? Weshalb werden manche gezeigt und andere weggelassen? Oryx: Zu Beginn des Projektes wählte ich Kleidung aus, die ich besonders mag, aus Kulturen, die ich aktuell besucht hatte und in denen ich einige Zeit verbracht habe. Es ging darum, dass ich eine stärkere Verbundenheit mit diesen Kulturen spürte als mit anderen, die jedoch in Zukunft auch Platz finden sollen. Giri: Woher stammen die Entwürfe für die Kleidungsstücke? Hast du diese auf deinen Reisen gesammelt oder sind sie aus einem Buch? Oryx: Beides! Einige Kleidungsstücke besitze ich selbst in RL und andere stammen von FreundInnen, während wieder andere nach langer Internetrecherche zustande kamen. Giri: Welchen kulturellen Hintergrund hast du selbst? Oryx: Ich bin Amerikanerin. :) Giri: Welche der Kleidungsstücke in deinen Shops würdest du selbst tragen, sowohl in SL als auch in RL? Oryx: Oh golly, das ist eine schwierige Frage. In SL trage ich aus Spaß alle. In RL? Wahrscheinlich würde ich einen indonesischen Sarong tragen an wärmeren Sommertagen; ich habe getragen und trage auch Salwar Kameez, wenn ich im Mittleren Osten bin und ich habe auch Saris ausprobiert, die FreundInnen gehören. Hier in den USA trage ich meistens Röcke und City-Style, wie in New York. Giri: Würdest du sagen, dass dein Shop gut läuft oder gibt es nicht genügend Besucher? Oryx: IHOS ist so erfolgreich wie ich es will in Monaten, in denen ich keine Werbung schalte in SL-Magazinen, ist auch nicht viel Umsatz zu spüren. Aber das ist für mich auch nicht so entscheidend. Ich denke dass SL-Shops mehr von Mund-zu-Mund-Propaganda leben. Ich würde es begrüßen, wenn dem "Traffic" nicht so viel Bedeutung beigemessen würde. Giri: Ich habe ein Benefiz-Projekt in deiner Mall gesehen; kannst du uns dazu etwas erzählen? Weshalb engagierst du dich auf diese Weise? Oryx: Heifer International ist mein bevorzugtes Wohltätigkeitsprojekt. Alles ist auf der Website www.heifer.org erklärt. Grundsätzlich geht es darum, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Die Spenden helfen den Leuten insofern, als davon Tiere gekauft werden können, die wiederum in vielfältiger Weise eine Einnahme- und Versorgungsquelle für Familien werden können. So kann z.B. eine Ziege Milch spenden, die die Familie selbst nutzen oder verkaufen kann; sie kann auch weitere Ziegen hervorbringen und so zu einer nachhaltigen Versorgungsquelle werden. Außerdem sorgt Heifer dafür, dass es ganzen Gemeinschaften gut geht und nicht nur Einzelpersonen. 8. Welche Zukunftspläne hast du für dein Geschäft? Eventuell würde ich mich gerne mehr mit der kulturellen Vielfalt in Europa befassen. Mein Traum ist es, jede Kultur dieses Planeten in meiner Mall zu zeigen als eine Art lebendigen Museums, in dem Personen die Kleidung kaufen können, die ihr kulturelles Erbe repräsentiert. Eines Tages werde ich jede Kultur angefangen von Aserbeidjan bis hin zur Zulu-Kultur vorstellen können. Es braucht Zeit und Engagement, ganz zu schweigen von den Stunden um Stunden an Recherche. Ich liebe meine Mall und ich liebe es auch, alles über Kleidung in Erfahrung zu bringen, auch wie sie sich über Zeiträume hinweg entwickelt hat. Es ist eine Art Liebesaffäre mit der Geschichte. :) Giri: Vielen Dank für Das Interview, Oryx! |
Das ganze erhält also noch ein Highlight durch die Tatsache, dass der Besucher sich mit freiwilligen Spenden für das erwähnte Dritte-Welt-Projekt "Heifer" einsetzen kann. Es geht, wie gesagt, darum, für bedürftige Dorfgemeinschaften Tiere zu kaufen, die als Nutztiere viele Bedürfnisse der dort lebenden Menschen abdecken können. Eine Notecard informiert und leitet weiter zur Webpage der internationalen NGO: http://www.heifer.org/. Bild5: Link zur Hilfsorganisation Heifer im IHOS |
Ein kleines
Projekt mit einer großen Strahlkraft - wenn es doch nur viele mehr
in SL davon gäbe! |
Bild6: Zitat-Collage des Ölbildes von Namali Piyasarshani mit den Mitteln von Second Life von Asmita Duranjaya |